Zusammen
Wachsen

Sprecher
und Sprüche

»Die gleiche Sprache sprechen« – das ist nicht nur sprichwörtlich wie buchstäblich für ein Verstehen notwendig. Es schafft auch Vertrauen und Gemeinschaft. Gerade wer im ländlichen Raum etwas erreichen möchte, muss die Sprache der Menschen vor Ort beherrschen. Das gilt auch hier in Burbach: Wer das »Borbijer Bladd« nicht sprechen oder verstehen kann, wird von den Einheimischen sofort als Außenstehender identifiziert – »echte« Burbacher erkennen sich am Dialekt. Der kam mit den christlichen Missionaren des Bischofs von Mainz bereits um 700 n. Chr. in die Region. Zur besonderen Tonalität dieses moselfränkischen Dialekts hielt der Regionalhistoriker Johann Christian von Stramberg 1837 fest, sie habe »in ihrer volltönenden Breite etwas ungemein treuherziges und gemütliches«.

Burbacher Platt

Burbacher Platt hat verschiedene Gesichter in den Ortsteilen. Vergleiche, wie unterschiedlich sie sind!

Kleine Anekdoten erzählt man sich in Burbach gern auf Platt. Höre in spannende Geschichten hinein!

Zäune und
Nachbarn

Die heutige Gemeinde Burbach mit ihren neun zugehörigen Dörfern besteht seit der nordrhein-westfälischen Gebietsreform 1969. Geologisch wird die Gemeinde durch die »Höh« in zwei Gebiete unterteilt. Das spiegelt sich in den bis heute verwendeten Namen »Oberer Freier Grund« für das nördliche und »Hickengrund« für das südliche Gebiet wider. Die »Hicken«, so die Legende, hätten sich ursprünglich sogar durch besonders hohe Hecken von der Außenwelt abgegrenzt. Erst 1799 wurden beide Gebiete politisch unter dem Haus Nassau vereint. Die unterschiedlichen Dörfer und ihre Menschen mussten so im Lauf der Geschichte erst zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen.

Charaktere im Fokus

Zur Zeit Napoleons im Jahr 1812 erhob die Regierung per Fragebogen statistische Informationen zu ihren Bezirken. Über Burbach gab der örtliche Amtmann Duncker aus Neunkirchen Auskunft. In seinem Bericht beschreibt er nicht nur die wirtschaftliche Lage der Dörfer, sondern auch ausführlich die Bräuche und Charaktere ihrer Einwohner. Eigensinnig schienen sie schon damals: »Ein Burbacher macht mir mehr zu schaffen als das ganze Dorf Stuthütte«, beklagte sich Duncker.

Foto von Briefausschnitt
Topographisch­geographisch­ statistische Nachrichten über die Ämter Burbach und Neunkirchen, Amtmann Duncker 1812, Landesarchiv Nordrhein­Westfalen, Abteilung Westfalen, H 201 Herzogtum Nassau, Landesbehörden, Freier Grund Sel­ und Burbach II F 1, fol. 84/85
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Hellerthaler Zeitung, 1. April 1967

Angst vorm Untergrund

Das Zusammenwachsen zur Großgemeinde lief auch im 20. Jh. nicht ohne Spannungen ab. Der Gemeinderat Lippe wehrte sich 1967 entschieden gegen eine Zusammenlegung mit den umliegenden Kommunen. Als Begründung wurde unter anderem deren »Faulheit in landwirtschaftlicher Hinsicht« angeführt, vor der man die Gemeinde schützen wolle. Die Reaktion aus dem Untergrund erfolgte prompt: Am 1. April wurde in der Hellerthaler Zeitung zur präventiven »Schutzimpfung« gegen die »Untergrundfaulheit« aufgerufen.

Blicke von Aussen

Mit der Eisenbahnverbindung ins Ruhrgebiet 1861 verlor das Siegtal einen Teil seiner Abgeschiedenheit. Zahlreiche Betriebe siedelten sich neu an. Nicht nur Waren konnten nun schneller transportiert werden, auch die Menschen gewannen an Mobilität. Nicht ohne Faszination registrierte man die Besonderheiten der Region: In einem Bahn- und Reiseführer von 1865 werden die »Hickenleute« als eine eigene »Kaste« beschrieben, die sich über wohl jahrhundertelange Abgeschiedenheit eine »naturwüchsige Originalität bewahrt« habe.

Ernst Weyden: Das Siegthal.
Ein Führer von der Mündung bis zur Quelle des Flusses und durch seine Seitenthäler, Bonn 1865

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Foto des Buches im Raum
Stunde 0 Eintrag aus dem Protokoll-Buch der Gemeinde Burbach
Eintrag aus dem Protokoll-Buch der Gemeinde Burbach (24. August 1933 bis 26. März 1946)

Volksgemeinschaft
vs. Zivilcourage

Die nationalsozialistische »Volksgemeinschaft« hatte weitaus mehr mit Gleichschaltung zu tun als mit einer freien und offenen Gemeinschaft. Sie diente dazu, die Menschen für politische und militärische Zwecke zu manipulieren und instrumentalisieren. Zwangsmitgliedschaften etwa im Jungvolk, in der »Hitlerjugend« und dem »Bund Deutscher Mädel« sollten die nationalsozialistische Gesinnung bereits bei Kindern und Jugendlichen fördern. Im Siegerland hatte der Nationalsozialismus mit Adolf Stoecker (1835 – 1909), der sich selbst als »Vater« und »Begründer« des Antisemitismus bezeichnete, einen äußerst erfolgreichen Wegbereiter: Keine andere politische Bewegung erreichte in der Region je wieder eine so große Bedeutung wie auch tiefe Enttäuschung.

Auge in Auge

Dem eisernen Reichsadler im prunkvollen Emblem des Heims der Hitler-Jugend bot während der Nazi-Zeit ein anderer Vogel Paroli: Lora, der Papagei des Apothekers Franz Barth, pfefferte jedem Kunden, der im Laden mit »Heil Hitler« grüßte, ein »Quatschkopf« an den Kopf. Wer »Guten Tag« wünschte, dem antwortete der schlaue Vogel mit »Guten Tag, ich heiße Lora«.

Papagei Lora
Heimatverein Alte Vogtei Burbach, Nachlass Franz Barth
Foto des Emblem des Hitler-Jugend-Heims im Raum
EMBLEM DES HITLER-JUGEND-HEIMS
Heimatverein Alte Vogtei Burbach

Burbach unterm Hakenkreuz

Vom »braunen Fieber« infiziert, trägt die Burbacher Gemeinschaft bis heute Spuren und Narben der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen des Nationalsozialismus und seiner Weltkriegs-Katastrophe. Geschichte und Geschichten dieser Epoche sind ein »dunkles Puzzle«, das noch weithin unsortiert auf den Speichern der Häuser und in den Familienalben, Tagebüchern und Archiv-Regalen Burbachs liegt. Heimatverein und Gemeinde intensivieren die Aufarbeitung ohne blinden Eifer und Zorn, ohne Vorwürfe und Unterstellungen.

Foto von 9 der insgesamt 18 Gründungsmitglieder der NSDAP-Ortsgruppe Burbach

NSDAP-ORTSGRUPPE IN BURBACH

Zum 5-jährigen Jubiläum ließen sich 9 der insgesamt 18 Gründungsmitglieder der NSDAP- Ortsgruppe Burbach, die sich am 9.Oktober 1930 im ehemaligen Hotel Böcher gegründet hatte, in der Lokalzeitung abbilden. Im Artikel dazu heißt es: »Der rückliegende Abschnitt umschließt eine Zeit schweren Kampfes, der von den alten Mitgliedern der Ortsgruppe mit äußerster Energie und Verbissenheit mit Gegnern ausgetragen werden mußte, die in der Wahl ihrer Kampfesmittel sehr oft das Gemeine in den Vordergrund stellten.«

Aufmarsch mit Posaunenchor 1933

POSAUNEN UNTERM HAKENKREUZ

Auch der örtliche Posaunenchor hielt sich nicht zurück, seine national gefärbte Gesinnung hinauszuposaunen: Er marschierte bei öffentlichen Veranstaltungen mit – wie hier am 1.Mai 1933 vor dem Haus Herbig. Besonders engagierte sich der Chor auf Veranstal- tungen des nationalsozialistischen »Winterhilfswerks des Deutschen Volkes«. Ziel der Organisation war es, Spenden für Bedürftige zu sammeln. Damit sollte die »Volksgemeinschaft« gestärkt und der Staatshaushalt von Sozialausgaben entlastet werden.

Aufmarsch Dorfmitte

PFLICHT ZUR TEILNAHME

Fackelzüge zur Sommer- und Wintersonnenwende, Umzüge zum 1.Mai und Erntedankfest …– während der Zeit des Nationalsozialismus fanden sich zahlreiche Anlässe für öffentliche Propaganda- Veranstaltungen. Festwagen mit Birkengrün aus dem Hauberg rollten durch die Straßen, die Menschen marschierten mit Hakenkreuz-Flaggen durch das Dorf. Die Teilnahme an den Veranstaltungen war Pflicht.

Foto von Motor-HJ

MOFA »DANK« HITLER

Mit der »Motor-HJ« gab es in Burbach zu Zeiten des Nationalsozialismus eine ganz besondere Form der Hitler-Jugend (HJ). Die Jugendlichen widmeten sich vornehmlich dem Motorsport und der Technik der Fahrzeuge, die vom »Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps« (NSKK) zur Verfügung gestellt wurden. Sie konnten Schulungen zum Führerscheinerwerb besuchen und merkten dabei kaum, wie diese »attraktive« Freizeitbeschäftigung der Kriegsvorbereitung und Rekrutierung diente.

GEFALLENE FÜR WAS?

Wie vielerorts wich auch in Burbach die anfängliche Kriegsbegeisterung schnell der Ernüchterung und Sorge um die Väter und Söhne im Feld. Von den drei Burbacher Jugendfreunden (v. l. n. r.) Herbert Krumm (Infanterie), Günter Diehl (Marine) und Walter Diehl (Panzergrenadiertruppe) – hier auf Heimaturlaub – überlebte nur Walter Diehl den Krieg. Seine Freunde fielen für »Führer, Volk und Vaterland«, wie es hieß – eine Floskel, die den Schmerz der Hinterbliebenen verspottet.

Rechtsprechung und
Selbstorganisation

Nach langen Streitigkeiten einigten sich die Adelshäuser Nassau und Sayn, die beide Gebiete in und um Burbach beanspruchten, 1478 auf eine Doppelherrschaft.
Dazu richtete man hier, in der Alten Vogtei, ein gemeinsames Gericht mit wechselndem Vorsitz ein. Auch wenn in der Bevölkerung kein Hahn danach krähte und man Streitigkeiten ab 1774 bisweilen gerne selbst am Gerichtstisch vor der Vogtei regelte – für die Richter vor Ort mussten alle Burbacher Bürger Federn lassen: Jeder hatte dafür jährlich ein sogenanntes »Gerichtshuhn« abzugeben. Und auch wenn der zwischen Nassau und Sayn geschlossene Vertrag den Willen dokumentiert, im Sinne eines friedlichen Zusammen­ lebens gemeinschaftlich zu handeln – bis die Adelshäuser 1799 durch Heirat ihre Güter vereinigten, kam es immer wieder zu Konflikten.

Entscheidung am Tisch

Um einen der Säulenfüße aus dem abrissreifen Kirchenschiff der örtlichen Kirche zu erhalten, ließ der damals amtierende nassauische Vogt Hoffmann ihn 1774 als Tisch vor der Vogtei aufstellen. An ihm versammelten sich bis zum Ende des 19. Jh. die örtlichen Bauern, um kleine Streitigkeiten selbst zu regeln, Absprachen zum Hauberg zu treffen oder sich schlicht auszutauschen.

Foto von Säulenfuß vor dem Eingang
Gemeinde Burbach
Ansicht der Alten Vogtei mit Schieferdach

Wahrzeichen mit Historie

Wann die Alte Vogtei genau erbaut wurde, ist nicht überliefert. Eine bauhistorische Untersuchung datiert das Gebäude auf 1698. Dass es den großen Brand überstand, verdankt es wohl seinem Schieferdach. Die mit Stroh gedeckte Zehntscheune brannte ab und wurde 1760 neu errichtet. Lange Zeit war die Vogtei der Mittelpunkt des Ortes: Hier waltete der Vogt. Hier wurde Recht gesprochen. Und hier war nach der preußischen Machtübernahme der Sitz der Bürgermeisterei. Ab 1848 wurde das Gebäude erst als Wohnhaus genutzt. Nach seiner Sanierung 1982 stand es für Trauungen sowie für Kulturangebote der Gemeinde Burbach und die Arbeit vieler Vereine zur Verfügung.

Recht mit Siegel

Lange erkannten saynische Untertanen die Urteile des nassauischen Vogts nicht an – und umgekehrt. 1485 wurde deshalb ein besonderes Berufungsgericht gegründet, dem beide Herrscher-Häuser gleichberechtigt angehörten. Das Petschaft (Siegel) des Gerichts vereinte nicht nur die beiden Wappen miteinander. Der Überlieferung nach wurde es auch Gemeinde Burbach in einer solchen Kiste mit zwei Schlössern aufbewahrt, die nur gemeinsam geöffnet werden konnte: Einen Schlüssel besaß der nassauische Verwalter, den anderen der saynische.

Ansicht des Exponats im Raum
Foto von Siegel und Siegelstempel
Gemeinde Burbach

APOTHEKE für Burbach

Burbach war eine der ersten ländlichen Gemeinden im Kreis Siegen, in denen es eine Apotheke gab. 1820 zunächst in einem kleinen Zimmer eingerichtet, ließ der Apotheker Johann Wilhelm Kortenbach 1830 ein eigenes Haus an der Jägerstraße 29 bauen, in dem er und nach ihm sein Sohn von 1830–1880 die erste Apotheke betrieben. Nach mehreren Besitzerwechseln erwarb Franz Barth das Haus 1910 und übernahm den Betrieb. Über 50 Jahre übte er seinen Beruf aus und war unter den Burbachern schlicht als »der Apotheker« bekannt. In Erinnerung blieb er zudem als Fotograf, Natur- und Tierschützer, Autobastler und – gemeinsam mit seinem Papagei Lora – als überzeugter Gegner des Nazi-Regimes. Mit Franz Barth endete die 130-jährige Tradition des Hauses: Als er sich 1961 zur Ruhe setzte, verkaufte er die aus mehreren Epochen stammende Apothekeneinrichtung, blieb aber mit seiner Familie in dem Haus wohnen. Die nachfolgenden Apotheken – seit 1977 gab es im Ort zwei – waren in anderen Gebäuden untergebracht.